Freier Wille
Ich glaube nicht, dass es bei der Frage nach dem freien Willen, eine Antwort in Form von Ja oder Nein gibt. Stattdessen ist es ein Kontinuum. Irgendetwas zwischen den Extremen, wie eigentlich immer und überall.
Wenn wir eine Entscheidung treffen, spielt nicht nur die aktuelle Situation eine Rolle.
Unser ganzes Leben hat uns an diesen Punkt geführt und alles beeinflusst unsere Entscheidung. Unsere Umgebung, Ausbildung und alle Erfahrungen, die wir gemacht haben.
Selbst die Erfahrungen unserer Vorfahren spielt mit hinein. Unsere Erziehung beeinflusst unsere Weltsicht enorm.
Unsere Eltern leben uns etwas vor, dass wir als Kinder aufsaugen und verinnerlichen. Wir übernehmen nicht nur das, was wir hören, sondern auch sehen und erleben.
Durch die Epigenetik wird uns der Lebensstil unserer Eltern vererbt. Es wird auch argumentiert, dass wir sogar Traumata und Ängste erben.
Zusätzlich haben wir einzigartige Fähigkeiten, Talente und Vorlieben.
Wir kommen nicht als weißes Blatt Papier auf die Welt, sondern mit einer Startkonfiguration unserer Persönlichkeit, die das ganze System schon in eine bestimmte Richtung lenkt.
Wir neigen also schon von Beginn an zu bestimmten Verhaltensweisen.
Ein Talent bedeutet, dass es uns leichter fällt, etwas zu tun als anderen. D.h. dass unsere Biologie auf diese Tätigkeit eingestellt ist.
Weil es uns leichter fällt und wir Spaß daran haben, machen wir mehr und werden besser. Wir bekommen Anerkennung dafür, was unser Engagement noch mal verstärkt.
Das spricht alles gegen den freien Willen.
Als Menschen haben wir aber die Möglichkeit, uns für unsere Reaktion zu entscheiden.
Wir sind dem Reiz nicht hilflos ausgeliefert wie Tiere ihren Instinkten.
Diese Lücke bevor wir auf etwas reagieren, müssen wir aber erst schaffen und dann erweitern.
Bis wir das geschafft haben, handeln wir auch nur nach Instinkten und haben keinen echten freien Willen, auch wenn es sich so anfühlt.
Selbst wenn wir immer wieder über eine Entscheidung nachdenken, und die Vor- und Nachteile abwägen, ist die sie eigentlich schon längst getroffen, wir müssen und nur noch selbst davon überzeugen.
Vor allem wenn wir Blockaden in uns haben, reagieren wir unbedarft und ohne nachzudenken. Wir fragen uns danach oft, was in uns gefahren ist.
Sobald ein wunder Punkt getroffen wurde, verlieren wir die Kontrolle und handeln automatisch und haben keine Chance bewusst einzugreifen.
Wenn wir es geschafft haben die Lücke zu nutzen, können wir uns entscheiden. Wir haben aber keine absolute Freiheit, sondern nur eine eingeschränkte. Durch unsere Weitsicht, Erfahrungen und Fähigkeiten können wir nicht alle Möglichkeiten, die es gäbe in Betracht ziehen.
Wenn wir nicht wissen, dass etwas möglich ist, können wir es nicht in Betracht ziehen.
Durch unser Handeln verändern wir uns und unsere Umgebung, was zu neuen Reizen und Erfahrungen führt.
Wir bauen neue Kompetenzen auf, unsere Komfortzone wird größer und wir haben immer mehr Spielraum für Entscheidungen und immer mehr „freien Willen“.
Das bedeutet, dass unser freier Wille auch eine Fähigkeit ist. Wir müssen Freiheit erst lernen - wie alles andere auch.
Wenn wir sie geschenkt bekommen, fühlen wir uns überfordert und haben Angst.
Unser ganzes Leben gibt es einen klaren Weg vorwärts. Zuerst kümmern sich unsere Eltern um uns, dann geht es in den Kindergarten und die Schule. Wir leben unser Leben in vorgegeben Bahnen. Wir können etwas links und rechts schauen, die generelle Richtung können wir aber nicht festlegen.
Sobald wir aber die Schule abgeschlossen haben, haben wir die absolute Freiheit und müssen eine Entscheidung treffen.
Wir gehen direkt von sehr wenig zu absoluter Freiheit.
Wir werden aus dem sicheren Nest gestoßen und es wird erwartet, dass wir fliegen.
Die Möglichkeiten sind grenzenlos.
Allein uns für einen Beruf entscheiden zu müssen, ist schon überfordernd, es gibt aber noch unendlich viele weitere Entscheidungen.
Wir können überall auf der Welt alles machen. Es gibt zahllose Alternativen unser Leben zu gestalten.
Viele von uns können damit aber nicht umgehen. Es ist einfach zu viel.
Wir haben nicht gelernt mit so viel Freiheit umzugehen.
Wenn mir jetzt jemand einen erfolgreichen YouTube Kanal geben würde, würde ich es nicht schaffen ihn zu halten, weil ich es nie gelernt habe.
Wir müssen immer klein anfangen. Wir müssen uns Fähigkeiten und Erfolge verdienen.
Es geht nicht um das Ergebnis, sondern um die Person, zu der wir auf dem Weg werden.
Das ist echte Weiterentwicklung.
Die Person, die den ersten Kanal aufgebaut hat, wird auch eine zweiten aufbauen können.
Daher kommt echtes Selbstvertrauen.
Lotto Gewinner verprassen alles, weil sie nie gelernt haben mit Geld umzugehen.
Wir spielen ein Level nach dem anderen, lernen unsere Lektionen und bauen so nachhaltig die nötige Kompetenz auf.
Wir wachsen organisch und haben dadurch ein echtes Sicherheitsnetz. Wir fallen nicht tief, weil wir uns ein stabiles Gerüst aufgebaut haben.
Die schlechte Nachricht ist, dass wir nicht sofort zum Ziel kommen können, sondern alles lernen müssen. Alles andere funktioniert nicht. Zumindest nicht langfristig.
Wir haben Angst, alles zu verlieren, weil wir es nicht wieder aufbauen können.
Die gute Nachricht ist aber: wir können alles lernen. Das bedeutet, dass wir alles erreichen können, was wir wollen. Wir müssen nur unseren eigenen Weg finden und immer wieder Experimente machen. Uns weiterentwickeln.
Das ist auch genau das, wofür uns unsere Biologie belohnt. Unsere Fähigkeiten müssen sich an die Herausforderungen anpassen.
Wenn es zu leicht ist, langweilen wir uns und wenn es zu schwer ist, haben wir Angst.
Nur beim richtigen Verhältnis kommen wir in den Flow.
Unser Körper zeigt uns den Weg. Das Leben gibt uns genau die Aufgaben, die wir gerade brauchen, auch wenn es nicht das ist, was wir wollen.