E5 - Oberstdorf - Meran
Ich bin mit zwei Freunden über die Alpen gewandert. Es hat mir sehr gut gefallen und gezeigt, wie weit wir kommen können, wenn wir einfach nur einen Fuß vor den anderen setzen.
Letztes Jahr ist einer der beiden auf mich zugekommen und hat vorgeschlagen, dass wir eine Alpenüberquerung machen sollten. Ich war direkt begeistert. Das klingt nach Abenteuer und einer Herausforderung. Es ist die Art von Urlaub, die mir gefällt.
Alle, denen ich davon erzählt habe, waren ähnlich begeistert und konnten sich auch vorstellen die Wanderung zu machen. Ich finde es interessant, dass es trotzdem nur wenige auf dem Schirm hatte, Ich habe vorher auch noch nie darüber nachgedacht oder davon gehört.
Die Buchung hat sich als sehr kompliziert herausgestellt. Wir haben zuerst versucht selbst eine Tour zu erstellen und die entsprechenden Hütten zu buchen. Das habe wir aber schnell aufgegeben. Zum Glück gibt es Agenturen, die ein Komplettpaket anbieten. Sie haben die Tour geplant und alles gebucht. Wir mussten uns nur noch um die An- und Abreise mit der Bahn kümmern.
Die Wanderung selbst war anspruchsvoller als erwartet. Ich bin davon ausgegangen, dass wir zwar auf Steilen, aber grundsätzlich ausgebauten Wanderwagen "gemütlich" von einer Hütte zur nächsten spazieren. Das war aber nicht der Fall. Ich war sehr froh, dass wir uns Wanderstöcke besorgt haben. Besonders bei den Abstiegen waren sie sehr hilfreich.
Sehr interessant fand ich, dass meine Höhenangst gar nicht gemeldet hat. Ein falscher Schritt hätte oft dazu führen können abzustürzen. Trotzdem war es für mich kein Problem. Ich konnte auch ohne Probleme an diesen Stellen herunterschauen.
Wir haben in Alpenhütten geschlafen. Dort gibt es nur das nötigste. Alles, muss aufwändig mit einer Seilbahn zur Hütte transportiert werden. Das macht sich in der Auswahl und den Preisen bemerkbar.
Trotzdem haben wir immer gut gegessen und es hat an nichts gefehlt.
In der ersten Hütte hing ein Spruch, der mir sehr gut gefallen hat: "Hier gibt es alles, was Du brauchst. Was es hier nicht gibt, wird auch nicht wirklich benötigt".
Das Schlafen auf den Hütten hat mir gezeigt, wie wenig wir tatsächlich benötigen. Das vieles von dem, was wir als notwendig betrachten, eigentlich überflüssig ist. Das Leben könnte so viel einfacher sein.
Ich habe mich oft wie ein kleines Kind gefühlt, weil ich ständig nachfragen musste, wie etwas funktioniert, wie wir uns verhalten sollten oder was etwas ist.
Ich habe festgestellt, dass es der erste Urlaub seit 5 Jahren war und ich überhaupt nichts von der Welt weiß.
Es war mir ziemlich peinlich immer wieder nachfragen zu müssen und nichts zu wissen. Vieles wirkte so, als wäre es Allgemeinwissen.
Ich hatte etwas befürchtet, dass wir mit allen Gästen gemeinsam in einem Raum schlafen, das ist aber nicht mehr so. Die Hütten wurden vergrößert und umgebaut. Die ersten beiden Nächte haben wir zu dritt in einem Zimmer geschlafen und danach mit den anderen 6 Personen, die über denselben Anbieter gebucht haben. Das hat alles gut funktioniert.
Ich hatte während des Urlaubs nicht das Gefühl jemand sein zu müssen. Ich konnte meine Maske abnehmen und ich selbst sein.
Alle waren dreckig, müde und kaputt. Ich habe den Druck "perfekt" sein zu müssen nur selten verspürt. Es gab nur den Berg.
Das war sehr befreiend. Wir saßen alle im selben Boot. Es war egal, was wir hatten, konnten oder wer wir im Rest unseres Lebens sind oder auch nicht. Status, Aussehen, Macht oder Geld hat niemanden weitergebracht.
Nur der Weg und damit der Prozess war wichtig. Einen Schritt vor den anderen setzen.
Ich war dann aber doch sehr froh die letzten beiden Tage im Hotel zu schlafen. Eine warme Dusche und ein richtiges Bett, ohne Hüttenschlafsack, sind schon etwas Schönes. Wir konnten uns wieder richtig über diese scheinbar normalen Dinge freuen.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns mehr Zeit mit den Wanderungen nehmen. Oft waren wir schon kurz nach dem Mittag auf der Hütte und haben dort rumgesessen. Ich wäre lieber den ganzen Tag unterwegs gewesen. Wir hätten mehr Pausen machen und uns generell mehr Zeit lassen können. So hat es sich für mich teilweise wie ein Rennen angefühlt. Möglichst schnell das Ziel erreichen. Dabei ist gerade beim Wandern der Weg das Ziel.
Rennen, um möglichst viel zu erreichen, mache ich schon an jedem anderen Tag und ich merke immer öfter, dass das nicht funktioniert. Ich brauche immer mehr und es gibt kein genug.
An zwei Etappen haben wir tatsächlich den ganzen Tag gebraucht und die Tage haben mir auch am besten gefallen. Es gab keine "tote" Zeit auf den Hütten.
Wir hatten den ganzen Tag unsere Aufgabe und sind der nächsten Hütte langsam, aber sicher immer nähergekommen.
An einem dieser Tage haben wir uns mit anderen zusammengetan und sind den ganzen Tag gewandert. Das war ein Tag, wie ich mir jeden gewünscht hätte. Ich wollte zwar auch Zeit für mich haben, dass wäre aber irgendwann automatisch passiert, auch wenn wir in einer größeren Gruppe unterwegs gewesen wären.
Irgendwann haben wir mit allen gesprochen und wir können schweigend nebeneinanderher gehen.
Was mir am meisten imponiert hat ist, dass die anderen uns bei jeder Pause direkt ihre Vorräte angeboten und mit uns geteilt haben. Wir hatten leider nichts, was wir zurückgeben konnten. Das hat sich nicht gut angefühlt. Wir haben dann das Bier auf der Hütte ausgegeben.
Der ganze Urlaub war sehr entspannend. Es gab immer nur ein ganz einfaches Ziel: Geh bis zur nächsten Hütte. Alles andere war egal. Meine Sorgen und Ängste sind sofort von mir abgefallen. Dieses einfache Leben hat mir extrem gut gefallen. Ganz genau zu wissen, was ich zu tun habe und wie ich das mache. Einfach nur gehen. Überall waren rote Striche, denen wir folgen mussten. Hin und wieder gab es Wegweiser, die uns gezeigt haben, dass wir auf dem richtigen Weg sind und wie weit es noch bis zum Ziel ist.
Das hat mir sehr gutgetan. Alles hat so einfach gewirkt. Es war klar, was ich machen muss. Kein ständiges hinterfragen oder mir Sorgen machen. Das ist alles direkt von mir abgefallen. Es gab nur das eine Ziel. Alles andere war egal. Dadurch habe ich mich deutlich leichter gefühlt.
Ich wünsche mir diese Klarheit für mein Leben. Mir fehlt das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein. Ich weiß nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Ich bin zwar den ganzen Tag beschäftigt, frage mich aber immer häufiger, wozu ich das mache.
Ich sehne mich nach einem Sinn. Einer Bedeutung. Das Leben fühlt sich so leer an. Als könnte das noch nicht alles sein und es müsste mehr geben.
Diese Fragen sind bei der Wanderung nicht aufgekommen. Wir sind aufgestanden, haben gefrühstückt und uns dann auf dem Weg zum nächsten Ziel gemacht.
Wir hatten generell viel Zeit für uns und ich konnte viel nachdenken. Ich hatte gehofft, dass ich dadurch diese Klarheit, was ich machen möchte, auch für mein Leben finde. Leider hat das nicht funktioniert. Ich fühle mich noch verlorener und weiß gar nicht mehr, was ich machen möchte.
Es war aber eine wichtige Erfahrung und ich habe trotzdem das Gefühl, dass ich etwas daraus lernen konnte.
Der Urlaub hat mich aber komplett aus der Bahn geworfen. Ich habe mich danach verwirrter gefühlt als vorher. Ich wusste und weiß gar nicht mehr, was ich mit meinem Leben anfangen möchte.
Außerdem hat er meine Routine völlig durcheinandergebracht. Ich habe zum ersten Mal seit langer Zeit sehr große Probleme mit meiner Disziplin. Ich hinterfrage wieder alles und weiß nicht, warum ich mich überhaupt so anstrenge.
Ich würde mich am liebsten in einem Loch verkriechen und nicht mehr herauskommen.
Ich möchte aber daran glauben, dass sich aus dieser schwierigen Phase etwas Positives entwickelt.
Ich habe herausgefunden, dass ich mehr Klarheit und Freiheit in meinem Leben möchte. Ich möchte zumindest für jeden Tag ein konkretes Ziel haben und beständig darauf hinarbeiten können. Ich möchte aber auch wissen wohin die Reise geht und warum ich es mache. Ich möchte wissen, was ich zu tun habe und mich nicht ständig hinterfragen.
Ich habe aber auch - mal wieder - gelernt, wie wichtig meine Routine ist. Ohne sie fühle ich mich komplett verloren und stürze ab.
Dadurch plane ich auch meine Tage und habe so meine Ziele und weiß, was ich tun möchte. Leider fällt mir das immer noch sehr schwer. Ich mache es eine Zeit lang und dann kommt wieder etwas dazwischen und ich lasse es sein. Alles andere fällt mir (normalerweise) ziemlich leicht. Ich nehme mir etwas vor und integriere es in meinen Tag.
Diese eine Gewohnheit zu etablieren ist aber eine enorme Herausforderung für mich. Es fühlt sich an, als würde ich mich dagegen wehren. Als hätte ich eine innere Blockade, die dagegen arbeitet und es verhindern will. Die mir sagen möchte, dass ich auf das falsche Pferd gesetzt habe und ich meine Zeit mit anderen Dingen verbringen sollte.
Ich möchte es trotzdem weiter versuchen, weil es mir hilft. Ich kann so denken und handeln trennen und kann aus dem Gedankenkarussell ausbrechen. Ich habe einen Plan, dem ich einfach folgen kann.
Es hat mir auch gezeigt, wie weit wir kommen können, wenn wir einfach nur einen Schritt nach dem anderen machen. Jeder Schritt für sich bringt nicht viel, wenn wir uns aber auf nichts anderes konzentrieren, sind wir überrascht, wie weit wir gekommen sind, wenn wir uns doch einmal umgucken.
Ich kann eine Alpenüberquerung wirklich sehr empfehlen. Ich würde es aber nicht nochmal machen. Mir gefällt es besser in Wäldern zu wandern. Die Gipfel sind zwar beeindrucken, es gibt dort aber nur Schnee und Geröll.
Ich glaube es gefällt mir auch besser einen festen Ort zu haben zu dem ich immer wieder zurückkomme und nicht alles mitnehmen muss. Eine Routine, eine warme Dusche und ein Bett.