Komplexität

02.11.2025

Ich habe mich wieder mit der Welt beschäftigt – und es hat mich überfordert. Ich habe mich frustriert, verzweifelt und hoffnungslos gefühlt.

All die Gewalt, Kriege und Prozesse, die sich gegenseitig aufschaukeln. Es hat mich wütend gemacht, aber auch sehr traurig.

Es kam mir alles irgendwie bekannt vor. Die Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich.

Ich hatte den Drang, etwas tun zu müssen. So kann es doch nicht weitergehen! Wir rasen mit offenen Augen auf die Wand zu – und nennen es Fortschritt.

Ich habe mir alle möglichen Lösungen überlegt und mich gefragt, warum wir immer wieder in die gleichen Muster verfallen. Dieselben Fehler machen.

Jede Idee und jede Lösung, die ich gefunden habe, hat sich erst mal logisch und richtig angehört. Wir machen A und bekommen B.

Wir bauen Systeme, um die Ursachen von Not, Elend und Krieg zu beseitigen.

Dann leben wir alle glücklich und zufrieden bis zum Ende unserer Tage.

So einfach ist es aber leider nicht. Das Leben ist kein Uhrwerk, sondern ein lebendiges Netz aus Rückkopplungen. Es gibt unendlich viele Faktoren, die sich dynamisch Veränderungen anpassen und andere Prozesse in Gang setzen, die wir vielleicht überhaupt nicht beabsichtigt haben.

Anstatt aber etwas Neues zu versuchen, behandeln wir die Symptome der bestehenden Lösung, wodurch wieder neue Probleme entstehen.

Wir nehmen Tabletten gegen die Nebenwirkungen der Tabletten gegen die Krankheit.

Das ganze System wird immer umfangreicher und noch komplexer. Noch unvorhersehbarer.

In einer Stadt mit Schlangenplage hat die Regierung ein Kopfgeld auf Schlangen ausgesetzt in der Hoffnung, dass sich die ganze Bevölkerung an der Lösung beteiligt.

Am Ende haben die Menschen angefangen, Schlangen zu züchten.

Eine auf den ersten Blick logische und gute Idee führte zum genauen Gegenteil – weil Gesellschaften und die Welt nicht kompliziert, sondern komplex sind.

Es gibt überall Rückkopplung und sich selbst verstärkende Prozesse. Alle Akteure reagieren auf Veränderungen und passen ihre Handlungen an, was dann wiederum die Ausgangssituation verändert.

Dadurch ist es unmöglich, vorherzusagen, was passieren wird.

Wir leben nicht in einer linearen, sondern in einer chaotischen Welt – und wir sind Teil dieses Chaos.

Es gibt keine einfachen klaren Lösungen, sondern nur Wahrscheinlichkeiten.

Fast alles hängt mit allem zusammen – und das führt zu unerwarteten Konsequenzen. Im Guten wie im Schlechten.

Dinge, die gut gemeint und durchdacht sind, können sich sehr schnell selbst zu einem Problem entwickeln.

Es können aber auch unerwartete, positive Dinge entstehen und alles dazwischen.

Das passiert, wenn wir mit etwas agieren, das größer ist als die Summe seiner Einzelteile.

In der Chaostheorie wird das als Emergenz bezeichnet.

Je komplexer etwas ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich weitere Dinge daraus ergeben, die wir nicht vorhersagen können.

Selbst kleinste Veränderungen an den Startbedingungen können zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Ein Vogelschwarm ist dafür ein Beispiel. Jeder einzelne Vogel handelt nach sehr einfachen Regeln und daraus emergiert ein Vogelschwarm, der lebendig wirkt.

Ähnliches gilt auch für eine Ameisenkolonie. Einzelne Ameisen sind kaum überlebensfähig, aber gemeinsam entsteht etwas Größeres daraus.

Ich glaube, dass ich endlich anfange zu begreifen, dass es keine einzige einfache Lösung für alles geben kann, wie ich es mir immer erhofft habe.

Ein System, das für die ganze Welt funktioniert.

Dafür ist es einfach zu umfangreich. Niemand kann es wirklich verstehen und an alle möglichen Konsequenzen und Rückkopplungen denken.

Wir könnten uns an der Evolution orientieren. Sie ist ein bewährtes Prinzip, um komplexe Probleme zu lösen.

Wir können Probleme dort angehen, wo sie entstehen – lokal, sichtbar, greifbar. Dort ist die Lage überschaubarer und die Konsequenzen eher zu sehen.

Nichts hält uns davon ab gleichzeitig unterschiedliche Ansätze auszuprobieren und dann die Ergebnisse miteinander zu teilen. Wir können so viel testen und finden schneller etwas, das funktioniert.

Wir können so früher mit kleineren Eingriffen gegensteuern. Wir bemerken eher, wenn etwas aus der Balance gerät und finden leichter ein neues Gleichgewicht.

Wenn wir im Kleinen handeln und viele Experimente machen, nähern wir uns immer weiter an die Lösung an.

Je mehr wir ausprobieren, desto mehr Erfahrungen sammeln wir – und desto besser verstehen wir das System.

Wir müssen nicht gleich alles in Beton gießen, sondern können günstige Lösungen ausprobieren. Wir behalten, was funktioniert und sortieren alles andere aus.

Ich verstehe jetzt, warum mich das alles so überfordert hat – weil ich nach einfachen Antworten in einer komplexen Welt gesucht habe.

Vielleicht geht es gar nicht darum, die Welt zu retten, sondern darum, zu lernen, mit ihr zu tanzen. Mit kleinen Schritten, an vielen Orten, und mit der Demut, dass das Leben immer größer ist als unsere Pläne.

Was ist dein Traum? Wie kann ich helfen?