Nutztier
Bei einer Diskussion über meine Idee mich nur noch von Huel zu ernähren ist der Satz gefallen, dass wir keine Nutztiere sind. Es geht nicht nur darum so effizient wie möglich Nährstoffe aufzunehmen.
Es geht auch um Genuss, Freude und soziale Aspekte.
Mir gibt das Essen aber nichts. Selbst Weihnachten oder bei Hochzeiten hätte ich kein Problem einen Magerquark mit Haferflocken zu essen.
Ich habe schon von sehr vielen gehört, wie wichtig ihnen das Essen ist. Besonders gemeinsam mit anderen. Ich kann das nicht nachvollziehen. Mir fehlt dafür das Verständnis.
Ich glaube ich habe mir die Freude daran abtrainiert und in dem Prozess verlernt, wie schön es sein kann eine Mahlzeit zu teilen. Sich Zeit zu nehmen und etwas Besonderes zuzubereiten.
Gerade klingt es für mich alles nach unnötigem Aufwand. Ich möchte so schnell und unkompliziert wie möglich Nährstoffe aufnehmen. Ich sehe das Essen fast als notwendiges Übel.
Mit anderen zu essen kostet Zeit, in der ich nichts leiste. Aufwändige Mahlzeiten zubereiten halten mich davon ab, mehr zu erreichen.
Ein weiterer wichtiger Punkt war, dass alle Menschen den gleichen Wert haben. Es ist egal, was wir können oder leisten. Wir sind alle gleich viel wert.
Wir beurteilen Nutztiere nach ihrer Leistung, Menschen nicht.
Nach dem Gespräch ist mir klar geworden, dass ich mich selbst aber eher, wie ein Nutztier sehe.
Ich leite meinen Wert davon ab, wie viel ich leiste. Ich habe das Gefühl nur so viel wert zu sein, wie ich beitrage.
Ich habe das große Glück einen Firmenwaagen zu fahren. Ich bin gerade dabei den alten zurückzugeben und das neue zu bestellen.
Anstatt mich aber darüber zu freuen und begeistert auf die Ankunft des Autos zu warten, fühle ich mich eher gestresst. Für die meisten scheint ein neues Auto ein Erlebnis zu sein, was ich auch irgendwie nachvollziehen kann. Schließlich ist es eine enorme Anschaffung.
Ich spüre davon einfach nichts. Ich bin froh, wenn wieder alles in geregelten Bahnen verläuft und ich mich wieder auf andere Dinge konzentrieren kann.
Das Einzige, was mir noch Freude zu bereiten scheint, sind Fortschritte und das Optimieren von Abläufen, um immer mehr beitragen zu können und so meinen Wert zu steigern.
Wenn ich mich schlecht fühle, ziehe ich mich zurück, weil ich mich dafür schäme schwach zu sein. Ich möchte nicht, dass irgendjemand mitbekommt, dass ich nicht funktioniere, wie eine Maschine und dass es sehr schwer und anstrengend ist immer so schnell zu rennen, wie ich kann. Es soll niemand mitbekommen, dass ich mich erschöpft fühle.
Wie ein altes krankes Tier, dass sich zum Sterben von der Herde trennt.
Immer, wenn ich mich schlecht fühle, gerate ich in eine Art Panikmodus. Ich mache das, was ich kenne. Ich renne schneller.
Ich bin dann bereit alles im Namen der Leistungssteigerung zu opfern.
Plötzlich habe ich das Gefühl, dass es bei jeder Entscheidung um Leben und Tod geht. Ich fühle mich festgefahren und in einer Sackgasse. Es fällt mir sehr schwer Entscheidungen zu treffen und Risiken einzugehen.
Ich habe Angst ertappt, aus der Gruppe geworfen und zum Sterben zurückgelassen zu werden.
Ich kann nicht mehr klar denken und sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.
Die Welt wirkt eng und eingeschränkt, als hätte ich Scheuklappen auf.
Bis vor ein paar Jahren habe ich Wege und Tricks gefunden noch etwas mehr herauszuholen. Höher, schneller, weiter.
Vor 2,5 Jahren habe ich aber den Punkt erreicht, an dem ich keinen Spielraum mehr habe. Es gibt nichts mehr auf das ich verzichten kann, um weiter zu beschleunigen.
Es gelingt mir immer öfter mich von diesem Denken zu lösen - solange alles gut läuft - sobald aber etwas nicht so funktioniert, wie geplant, heißt es wieder zurück auf Anfang und beschleunigen. Es ist, als ob jemand anderes das Kommando übernehmen würde.
Ich grabe mir ein immer tieferes Loch. Ich laufe so schnell ich kann vor dem Weg, was ich in dem Moment brauche: Ruhe und Gesellschaft.
Ich kann nicht mehr klar denken und suche verzweifelt nach Möglichkeiten mehr zu machen. Dinge noch effizienter zu erledigen, damit ich (wieder) etwas wert bin.
Ich habe zwar erkannt, dass es keine Lösung ist, ich falle aber immer wieder in gewohnte Muster zurück.
Mir ist auch klar geworden, dass ich es als Schwäche ansehe Hilfe zu brauchen. Es fällt mir schwer um das zu bitten, was ich brauche. Dabei brauchen wir alle Hilfe und Unterstützung. Unsere Gesellschaft würde nicht funktionieren, wenn wir alle auf uns allein gestellt wären.
Es fällt mir schwer eine Pause zu machen und zur Ruhe zu kommen. Stillstand fühlt sich unmöglich an. Ich habe das Gefühl, dass ich von meinen Gefühlen und Gedanken eingeholt und überwältigt werde.
Dabei ist die Ruhe genau das, was ich in dem Moment brauche, um Abstand zu gewinnen und aus dem Panikmodus zu kommen.
Wenn es mir gelingt mich den Gedanken zu stellen und sie zu verarbeiten, sieht die Welt plötzlich wieder ganz anders aus. Es ist, als wäre ein Schalter in meinem Kopf umgelegt worden.
Ich habe wieder Hoffnung und Ideen. Alles fällt mir viel leichter. Die Welt sieht heller und positiver aus.
Ich sehe wieder einen Weg vorwärts.
Ich habe diesen Kreislauf schon unzählige Male durchgemacht. Ich habe immer gedacht, dass die Ursache der Überforderung daran liegt, dass Anforderungen von außen an mich gestellt werden. Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Ich glaube aber noch einen Schritt davor erkannt zu haben. Ich übertreibe es. Ich nehme mir zu viel vor. Je besser es mir geht, umso mehr lade ich mir auf. Ich gehe davon aus, dass es immer so weitergehen kann und habe keinen Spielraum mehr für Unvorhergesehenes.
Ich gehe davon aus, dass alles optimal läuft und plane entsprechend. Ich denke, dass ich alles schaffen kann und mache immer mehr. Ich lege die Latte immer höher.
Wenn dann noch eine weitere Anforderung von außen kommt oder etwas nicht so funktioniert, wie geplant, bricht das Kartenhaus zusammen.
Sobald ich in die Aufwärtsspiral komme, möchte ich immer mehr machen. Ich fühle mich dadurch immer besser. Ich habe tausende Ideen, die ich unbedingt umsetzen möchte. Ich suche nach Wegen immer effizienter zu werden.
Es funktioniert am Anfang auch sehr gut. Ich finde den Punkt, an dem es zu viel wird, aber noch nicht.
Ich setze mir selbst und anderen keine Grenzen. Ich möchte wirken, als könnte ich alles ohne Probleme mit einem Lächeln schaffen. Nichts ist zu viel und ich werde mit allem fertig.
Das ist das eigentliche Problem. Ich treibe mich immer weiter, bis es nicht mehr geht und stürze wieder ab.
Ich setze mir immer höhere Ziele und Standards und gehe davon aus sie alle kontinuierlich erreichen zu können. Anstatt Prioritäten zu setzen, möchte ich alles auf einmal.
Schließlich denke ich, dass ich mehr geliebt werde und mehr wert bin, je mehr ich leiste.
Das ist die Ursache für meine Stimmungsschwankungen. Es sind nicht die anderen, sondern es liegt an mir.
Der Vorteil daran ist, dass ich das kontrollieren kann.
Es fällt mir noch schwer, eine Balance zu finden. Wenn etwas funktioniert, setze ich voll darauf und mache immer mehr. Dabei ist es nie nur eine Lösung. Es ist Fortschritt und Ruhe, Training und Erholung, Arbeit und Freizeit.
Ich möchte versuchen, die scheinbar widersprüchlichen Dinge zu kombinieren.
Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Das eine bedingt das andere und sie ergänzen sich.
Es geht um Rhythmen. Wie die Jahreszeiten ist es ein ewiges hin und her.
Nach einer Aktivität brauchen wir Erholung. Wenn wir ausgeruht sind, funktioniert die Aktivität besser.
Dabei sollten wir uns 100 % auf das konzentrieren, was wir gerade tun. Konzentriert handeln dann aber auch wirklich erholen.
Ich möchte erkennen, wenn ich es übertreibe und mich bremsen, wenn ich mich gut fühle. Ich möchte nachhaltige Standards und Ziele setzen.
Ich möchte zwar hohe Standards haben, sie aber als Ideal betrachten, nicht als etwas, das ich jeden Tag erreichen muss.
Ich möchte mir niedrige Mindestanforderungen setzen, die ich auch an schlechten Tagen erreichen kann.
Ich möchte mein Bestes geben, aber akzeptieren, dass das nicht jeden Tag gleich ist. Manchmal habe ich Energie ohne Ende und kann einen neuen Rekord aufstellen und an anderen Tagen läuft es einfach nicht. Das ist normal.
Ich möchte eins nach dem anderen angehen und mich nicht selbst überfordern.
Ich möchte nicht zu allem Ja sagen und Grenzen setzen.
Ich möchte klare Ziele, Prioritäten und mir selbst Limits setzen.
Dadurch kann ich kontinuierlich Fortschritte machen und Freude empfinden, ohne es zu übertreiben. Ich baue dadurch Selbstvertrauen auf und steigere meinen Selbstwert.
Ich möchte so lernen meinen Wert nicht mehr über meine Leistung zu definieren.