Zwang
Ich bin großer Fan von Routinen und Struktur. Sie geben mir Halt und Sicherheit. Ich verlasse mich auf sie, um meine Stimmung über einem gewissen Mindestmaß zu halten.
In der Regel funktioniert das auch sehr gut. Es kommt aber zu Problemen, wenn ich es übertreibe.
Ich hatte in den letzten zwei Wochen wieder das Gefühl mehr Freiheit zu brauchen und wollte weglaufen. Das ist bei mir immer ein Zeichen, dass etwas nicht stimmt.
Ich konnte mir aber nicht erklären, woher es kommt. Im Nachhinein ist es aber ziemlich offensichtlich.
Die letzte Woche der Diät war wirklich hart und ich hatte große Schwierigkeiten auf meine Aktivitätskalorien zu kommen. Weil es aber so im Plan stand habe ich sie jeden Tag erzwungen, auch wenn es eigentlich zu viel war und mein Körper eine Pause gebraucht hätte.
Ich bin einfach nur durch die Gegend gegangen, nur um die Aktivitätskalorien zu erreichen. Es hat mich zusätzlich unter Druck gesetzt, weil es auch zeitlich schwierig geworden ist alles unterzubringen.
Es ist mir aber nicht gelungen das zu erkennen und stattdessen zum Beispiel die Kalorien der Ernährung anzupassen.
Ich habe immer weiter gemacht, obwohl sich auch das Training immer schwerer angefühlt hat. Zusätzlich habe ich mich nach der Diät gewundert, warum ich nicht vor Kraft und Energie explodiere, als ich die Kalorienzufuhr erhöht habe.
Es lang schlicht und ergreifend daran, dass ich erschöpft war.
Ich habe es wieder übertrieben und wollte etwas erzwingen.
Ich gehe mit mir selbst um, als wäre ich eine Maschine. Alles soll nach Plan verlaufen. Das etwas dazwischen kommt, wie Erschöpfung, Termine oder eine Krankheit ist keine Option. Es ist einfach nicht akzeptabel. Es wird einfach weitergemacht.
Ich rate anderen Mal eine Pause einzulegen oder sich nicht so zu quälen. Für mich kommt es aber nicht in Frage. Ich muss funktionieren und darf mir keine Pause erlauben. Als würde die Welt zusammenbrechen, wenn ich einen Tag nicht zum Training gehe.
Ich laufe immer wieder in die gleiche Falle.
Ich merke, dass mir etwas gefällt oder guttut und schieße mich darauf ein. Ich setze dann voll darauf und übertreibe es. Nach dem Motto: "Viel hilft viel".
Wenn etwas dazwischenkommt, setze ich umso mehr auf das, was gerade funktioniert. Erkenne aber erst spät, dass es irgendwann zu viel wird oder es nicht das richtige für die aktuelle Situation ist.
Ich vertraue mehr auf meine Routine, als auf meinen Körper zu hören.
Das Schreiben dieser Texte macht mir sehr viel Spaß. Am Anfang des Monats habe ich mir dann vorgenommen jede Woche einen Text veröffentlichen zu müssen. Dadurch habe ich mir unnötig Druck gemacht und mir selbst die Lust am Schreiben genommen. Ich hatte immer im Hinterkopf noch eine Idee haben zu müssen. So funktioniert es aber nicht. Mir kommen Ideen nicht nach Plan, sondern spontan, wenn mich etwas beschäftigt, ich mir selbst aber genug Raum gebe.
Manchmal passiert wochenlang nicht und dann habe ich an einem Tag gleich sehr viele Ideen, die ich aufschreiben möchte. Ich kann es nicht erzwingen. Je mehr Druck ich mir mache, umso weniger Ideen habe ich.
Deshalb habe ich damit aufgehört und möchte nur noch etwas veröffentlichen, wenn mir eine Idee für einen Text kommt.
Ich habe heute Morgen deutlich länger geschlafen als sonst. Die Erschöpfung hat sich bemerkbar gemacht. Ich habe mich etwas verwirrt gefühlt, weil der Tagesablauf damit durcheinander war.
Ich habe es aber überraschend gelassen genommen und mich sogar darüber gefreut länger geschlafen und mich somit erholt habe.
Ich bin nach dem Aufstehen direkt spazieren gegangen. Dort ist mir klar geworden, dass mein Verlangen wegzulaufen daherkommt, weil ich mir wieder selbst die Lust genommen und Dinge erzwingen wollte.
Die letzten Wochen und Monate ist es mir gut gelungen (für meine Verhältnisse) flexibel zu bleiben und mich dadurch sehr zufrieden zu fühlen und eine Verbindung zu meiner Intuition aufzubauen. Das habe ich in den letzten beiden Wochen aber über Bord geworfen und mich dadurch wieder unzufrieden und gehetzt gefühlt.
Ich habe verzweifelt nach einem Ausweg gesucht, dabei immer mehr auf meine Routinen gesetzt, ihn aber nicht gefunden, weil es an der Routine selbst lag.
Das worauf ich mich verlasse für meine gute Stimmung verlasse, war der Grund für meine Unzufriedenheit.
Ich habe erkannt, dass mir das Training so gut gefallen hat, gerade weil ich es lockerer habe angehen lassen und Spaß dabeihatte. Interessanterweise habe ich meine Ziele trotzdem erreicht. Ich hatte aber zusätzlich Spaß dabei.
Es ist mir gelungen auf meinen Körper zu hören, es nicht zu übertreiben und auch mal etwas zu tun, das nicht auf dem Plan stand.
Dadurch habe ich mich jeden Tag auf das Training gefreut und bin gerne hingegangen. Die Erfolge waren ein Nebenprodukt des Prozesses.
Genauso, wie ich es möchte.
Ich habe die Dinge gemacht, weil ich wollte, nicht weil ich das Gefühl hatte es zu müssen.
Als ich mich aber wieder auf die Ergebnisse fokussiert habe, habe ich die Lockerheit verloren und wollte sie wieder erzwingen. Ich habe die Zügel immer enger gezogen und mir selbst immer weniger Spielraum gegeben.
Ich habe mir ein Korsett angelegt und es immer enger gezogen. Es gab nur noch das Ergebnis. Ich wollte es um jeden Preis. Alles andere war egal.
Dadurch hat es sich immer anstrengender angefühlt, ich habe die Verbindung zu meinem Körper verloren und bin wieder in alte Muster gerutscht.
Ich bin wieder dort, wo ich angefangen habe.
Ich habe mir also vorgenommen heute nach dem Krafttraining draußen laufen zu gehen, anstatt wieder auf den Stepper zu gehen. Ich habe mir auch ein neues Hörbuch heruntergeladen. Eine Geschichte und kein Sachbuch.
Als ich im Fitnessstudio angekommen bin, hatte ich plötzlich überhaupt keine Lust auf das Krafttraining und habe mich spontan dazu entschlossen direkt laufen zu gehen.
Der Entschluss hat sich einfach richtig angefühlt.
Da es der erste Lauf in diesem Jahr war, habe ich mir auch kein Ziel gesetzt und auch die Zeit war mir egal. Ich wollte einfach nur eine Runde laufen.
Auf der halben Strecke habe ich eine Freundin getroffen, die sich auch ganz spontan überlegt hat Laufen zu gehen. Sie ist aber in die entgegengesetzte Richtung gelaufen.
Das Laufen hat sich sehr gut angefühlt und ich habe beschlossen noch eine zweite Runde zu laufen. Dort habe ich die Freundin wiedergetroffen und ich bin mit ihr gemeinsam andersherum gelaufen.
Ich habe mich danach frei und zufrieden gefühlt.
Was ich aber wirklich interessant finde ist, dass ich die Energie hatte, so viel zu laufen, obwohl ich mich die letzten Tage so erschöpft gefühlt habe. Es zeigt mir, dass sie die ganze Zeit da war, ich aber nicht auf sie zugreifen konnte.
Die Lockerheit und die Freude einfach nur zu laufen, ganz ohne Druck, haben sie wohl wieder reaktiviert. Die Freiheit mich nicht an einen Plan halten zu müssen, der mir nicht mehr gefällt, hat mir zusätzlich Energie verliehen.
Der Drang wegzulaufen ist auch verschwunden.
Ich vergesse immer wieder, dass es meine Regeln sind und ich sie jederzeit ändern kann. Ich bin so verbissen und möchte die Ergebnisse so unbedingt, dass ich alles andere aus dem Blick verliere.
Ich möchte mehr darauf achten, wann ich etwas erzwinge, und den Spaß und die Lockerheit verliere. Ich möchte den Zeitpunkt erwischen, wenn die Ergebnisse wichtiger werden als der Prozess.
Ein Hinweis darauf ist, dass ich mich freier fühlen und weglaufen möchte. Ich möchte sie als Warnzeichen erkennen und herausfinden, was ich gerade versuche zu erzwingen.
Ich möchte mir Spielraum und Freiheiten lassen und mich nicht so sehr einschränken. Meine Routinen helfen mir wirklich, ich möchte sie aber nicht mein ganzes Leben bestimmen lassen.
Es fällt mir sehr schwer dort eine Balance zu finden, ich möchte mich aber darum bemühen besser darin zu werden.
Mir ist die Ironie, dass ich heute trotzdem einen Text nach (altem) Plan veröffentliche nicht entgangen. Es fühlt sich aber richtig an. Ich wollte ihn schreiben und habe mich nicht dazu gezwungen.